Vatikan

Die apologetischen Gebete des "Ordo Missae"

- Amt für die Liturgische Feiern des Papstes
Betrachtende und anbetende Stille

Betrachtende und anbetende Stille

Mit ihr präsentiert sich der Mensch persönlich und gemeinschaftlich vor dem Herrn, um ihm Dank zu sagen, dies im Bewusstsein der Tatsache, dass sein Sein die ihm eigene Fülle nicht erreichen kann, wenn er ihn auf seiner ständigen Suche nach dem Reich, das schon gegenwärtig ist und dennoch endgültig erst am Tag der Parousie Jesu, des Herrn, kommen wird, nicht preist und seinen Willen erfüllt. (1)

In diesem Licht ist es deutlich, dass die Richtung einer jeden liturgischen Handlung – welche dieselbe für den Priester und das Volk ist – jene dem Herrn zugewandte ist: dem Vater durch Christus im Heiligen Geist. Daher beten der Priester und das Volk gewiss nicht einander gegenüber, sondern hin zum einen Herrn. (2) Es geht darum, ständig das “conversi ad Dominum” zu leben, jenes sich jetzt auf den Herrn Ausrichten, das die “conversio” voraussetzt, das heißt die Handlung, unsere Seele auf Jesus Christus und so auf den lebendigen Gott oder das wahre Licht hin zu wenden. (3)

Auf diese Weise wird die liturgische Feier als ein Tun jener religiösen Tugend gelebt, die sich in Übereinstimmung mit ihrem Wesen durch den tiefen Sinn für das Heilige auszeichnen muss. In ihr müssen sich der Mensch und die Gemeinde bewusst sein, dass sie sich in besonderer Weise vor dem begegnen, der der dreimal Heilige und Transzendente ist. Daraus ergibt sich: “Ein überzeugendes Zeichen für die Wirkung, die die eucharistische Katechese auf die Gläubigen ausübt ist mit Sicherheit ihr zunehmendes Empfindungsvermögen für das Mysterium des unter uns gegenwärtigen Gottes”. (4)

Die in der liturgischen Feier angemessene Haltung kann nur jene sein, die voller Ehrfurcht und Staunen ist und dem Bewusstsein entspringt, in Gegenwart der Majestät Gottes zu sein. Wollte nicht Gott selbst darauf hinweisen, als er Moses befahl, vor dem brennenden Dornbusch die Schuhe auszuziehen? Ging nicht aus diesem Bewusstsein die Haltung des Moses und des Elias hervor, die es nicht wagten, Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen? (5)

In diesem Zusammenhang können die Worte des zweiten Eucharistischen Hochgebets besser verstanden werden, die das Wesen des priesterlichen Dienstes vollkommen beschreiben: “Astare coram te et tibi ministrare”. Die Aufgabe, die das Wesen des priesterlichen Dienstes bestimmt, ist also eine zweifache: “vor dem Herrn zu stehen” und “ihm zu dienen”. Der Heilige Vater Benedikt XVI. bemerkte in einem Kommentar zu einem derartigen Dienst, dass der Begriff “Dienst” vor allem verwandt wird, um sich auf den liturgischen Dienst zu beziehen. Dies schließt verschiedene Aspekte ein, unter anderem den der Nähe und der Vertrautheit. Der Papst sagte:

“Niemand ist seinem Herrn so nahe wie der Diener, der ins Privateste seines Lebens Zugang hat. Insofern bedeutet Dienen Nähe, fordert Vertrautheit. Diese Vertrautheit birgt auch eine Gefahr: Das Heilige, dem wir immerfort begegnen, wird uns gewöhnlich. Die Ehrfurcht erlischt. Wir spüren durch alle Gewohnheiten hindurch das Große, Neue, Überraschende nicht mehr, dass ER selber da ist, zu uns redet, sich uns schenkt. Dieser Gewöhnung ans Große, der Gleichgültigkeit des Herzens müssen wir immer wieder entgegentreten, immer neu unsere Armseligkeit erkennen und die Gnade, die es ist, dass ER sich so in unsere Hände gibt”. (6)

In der Tat, vor jeder liturgischen Feier, in besonderer Weise jedoch vor der Eucharistie – dem Gedenken des Todes und der Auferstehung des Herrn, dank dessen dieses zentrale Ereignis der Heiles wirklich gegenwärtig und das Werk unserer Erlösung vollbracht wird – müssen wir uns anbetend vor das Geheimnis stellen: vor das große Geheimnis, das Geheimnis der Barmherzigkeit. Denn was hätte Jesus noch mehr für uns tun können? In der Eucharistie zeigt er uns wirklich eine Liebe, die “bis ans Ende” reicht (vgl. Joh 3,1), eine Liebe, die keine Grenzen kennt. (7) “Angesichts dieser außergewöhnlichen Wirklichkeit sind wir voller Staunen und Bewunderung: So groß ist die sich selbst entäußernde Demut, mit der sich Gott an den Menschen binden wollte! Wenn wir schon bewegt vor der Krippe in der Betrachtung der Menschwerdung des Wortes verweilen, was empfinden wir dann erst gegenüber dem Altar, auf dem Christus sein Opfer durch die armseligen Hände des Priesters in der Zeit gegenwärtig setzt? Es bleibt uns nur, die Knie zu beugen und in Stille dieses höchste Glaubensgeheimnis anzubeten” (8).

Eine logische Konsequenz aus dem Gesagten besteht darin, dass das Volk Gottes in den Priestern und auch in den anderen Altardienern ein ehrfurcht- und würdevolles Verhalten sehen muss, das fähig ist, ihm dabei zu helfen, in die unsichtbaren Dinge vorzudringen, dies auch ohne viele Worte und Erklärungen. Im “Missale Romanum” des heiligen Pius V. wie auch in verschiedenen östlichen Liturgien finden sich sehr schöne Gebete, mit denen der Priester das tiefste Gefühl der Demut und der Verehrung vor den heiligen Geheimnissen zum Ausdruck bringt: Sie offenbaren sie Substanz einer jeden Liturgie. (9)

Einige dieser im zitierten Missale vorhandenen Gebete – das in seiner Ausgabe des Jahres 1962 das Missale der “außerordentlichen Form” des Römischen Ritus ist – wurden in das nach dem II. Vatikanischen Konzil promulgierte Missale aufgenommen. Diese Gebete werden der Tradition entsprechend “Apologien” (Vergebungsbitten) genannt.

Auf diese Gebete nimmt die “Institutio Generalis Missalis Romani” (IGMR) im Abschnitt Nr. 33 Bezug. Nach dem Verweis auf die Gebete, die der Priester als Zelebrant im Namen der Ganzen Kirche spricht, bekräftigt die IGMR: “Bisweilen betet er aber auch im eigenen Namen, um so sei- nen Dienst mit größerer Sammlung und Andacht zu vollziehen. Derartige Gebete, die vor der Verkündigung des Evangeliums, bei der Gabenbereitung sowie vor und nach der Kommunion des Priesters vorgesehen sind, werden still gesprochen”.

Diese kurzen, still gesprochenen Gebetsformeln laden den Priester ein, seine Aufgabe zu personalisieren, sich dem Herrn auch persönlich zu übereignen. Gleichzeitig bilden sie eine hervorragende Weise, sich wie die anderen Gläubigen zur Begegnung mit dem Herrn in einer – neben der gemeinschaftlichen – ganz persönlichen Weise aufzumachen. Und dies ist ein erster Aspekt von wesentlicher Wichtigkeit, da man nur in dem Maß, in dem die liturgische Struktur und die Worte der Liturgie verstanden und verinnerlicht werden, in eine innere Konsonanz mit ihnen treten kann. Wenn dies geschieht, spricht der zelebrierende Priester nicht nur als Einzelperson mit Gott, sondern er tritt in das “Wir” der betenden Kirche ein.

Wenn die “celebratio” Gebet, das heißt: Gespräch mit Gott ist – ein Gespräch Gottes mit uns und unser Gespräch mit Gott -, so verwandelt sich das “Ich” des Zelebranten und tritt in das “Wir” der Kirche ein. Das “Ich” wird reicher und weiter, indem es mit der Kirche betet, mit ihren Worten, und es wird wirklich ein Gespräch mit dem Herrn geführt. Auf diese Weise ist das Feiern wirklich ein Feiern “mit” der Kirche: das Herz wird weit – natürlich nicht im leiblichen Sinn, sondern so, dass es “mit” der Kirche ein Gespräch mit Gott aufnimmt. In diesem Prozess der Erweiterung des Herzens stellen die apologetischen Orationen und die kontemplative und anbetende Stille, die diese hervorbringen, ein wichtiges Element dar; daher sind sie seit über 1000 Jahren Teil der Struktur der Feier der Eucharistie.

Auf unserem Weg zum Herrn bemerken wir als Zweites unsere Unwürdigkeit. Daher wird es während der Feier notwendig, darum zu bitten, dass Gott selbst uns verwandle und es annehme, dass wir an jener “actio Dei” teilhaben, welche die Liturgie ausgestaltet. Denn der Geist der steten Umkehr ist eine der persönlichen Bedingungen, welche die “actuosa participatio” der Gläubigen und des zelebrierenden Priesters an der eucharistischen Liturgie ermöglichen. “Man kann sich keine aktive Teilnahme an der eucharistischen Liturgie erwarten, wenn man nur oberflächlich dabei ist, ohne zuvor das eigene Leben überprüft zu haben”. (10)

In diesem Kontext versteht man die Sammlung und die Stille vor und während der Feier, und diese erleichtern es, die Worte Benedikt XVI. Wirklichkeit werden zu lassen: “Ein mit Gott versöhntes Herz befähigt zu wahrer Teilnahme”. (11) Daraus folgt erneut, dass die apologetischen Orationen eine wichtige Rolle in der Feier spielen.

Zum Beispiel gestatten es die apologetischen Gebete “Munda cor meum” (vor der Verkündigung des Evangeliums) oder “In spiritu humilitatis” (vor der Händewaschung nach der Gabenbereitung) dem Priester, der sie betet, sich seiner Unwürdigkeit und gleichzeitig der Größe seiner Sendung bewusst zu werden. “Der Priester ist in erster Linie Diener und muss sich ständig darum bemühen, ein Zeichen zu sein, das als gefügiges Werkzeug in Christi Händen auf ihn verweist.” (12) Die Stille und die Gesten der Frömmigkeit und Sammlung des Zelebranten veranlassen die Gläubigen, die an der Feier teilnehmen, sich angesichts der Bedeutung des liturgischen Moments, an dem sie teilhaben, der Notwendigkeit der Vorbereitung und der Umkehr bewusst zu werden: vor der Lesung des Evangeliums oder unmittelbar vor dem Beginn des eucharistischen Hochgebets.

Ihrerseits stehen die Apologien “Per huius aquae et vini” während der Gabenbereitung oder “Quod ore sumpsimus, Domine” während der Reinigung der heiligen Gefäße vollkommen innerhalb des Wunsches, in die “actio Divina” eingeführt und in ihr und durch sie verwandelt zu werden. Wir müssen uns ständig in Geist und Herz daran erinnern, dass die eucharistische Liturgie wesentlich “actio Dei” ist, die uns durch den Geist in Jesus hineinzieht. (13) Diese beiden Apologien richten unser Dasein auf die Menschwerdung und die Auferstehung aus und bilden ein Element, das die Verwirklichung jenes Wunsches der Kirche begünstigt, dass die Gläubigen nicht als stumme Zuschauer bei der Feier dabei sind, sondern dass sie aktiv teilnehmen, indem sie Gott danken und lernen, sich selbst zusammen mit Christus darzubringen. (14)

Es scheint uns somit die Behauptung nicht übertrieben zu sein, dass die Apologien eine erstrangige Rolle dabei einnehmen, dem geweihten Priester dies in Erinnerung zu rufen: “Es ist der gleiche Priester, Christus Jesus, dessen heilige Person sein berufener Diener vertritt. Durch die Priesterweihe dem Hohenpriester angeglichen, besitzt er die Vollmacht, in der Kraft und an Stelle der Person Christi selbst zu handeln [virtute ac persona ipsius Christi]”. (15)

Gleichzeitig erinnern sie den Priester daran, dass “das geweihte Amt das sakramentale Band (bildet), das die liturgische Handlung mit dem verbindet, was die Apostel gesagt und getan haben. Durch die Apostel wird die Verbindung mit dem, was Christus, der Ursprung und Urgrund der Sakramente, gesagt und getan hat, hergestellt” (16). Die Stillgebete des Priesters bilden daher ein außerordentliches Mittel, um eine Gemeinschaft zu bilden, die “Liturgie” ist und die als ganze ausgerichtet “versus Deum per Iesum Christum” teilnimmt.

Eine der im nachkonziliaren “Ordo Missae” erhalten gebliebenen Apologien bringt das Gesagte sehr gut zum Ausdruck: “Domine Iesu Christe, Fili Dei vivi, qui ex voluntate Patris cooperante Spiritu Sancto per mortem tuam mundum vivificasti”. In der Tat können die Stillgebete des Priesters (und dabei im Besonderen dieses) ihm selbst und den Gläubigen auf wirksame Weise helfen, das klare Bewusstsein zu erlangen, dass die Liturgie Werk der Heiligsten Dreifaltigkeit ist. “Das Gebet und das Opfer der Kirche lassen sich vom Gebet und Opfer Christi, ihres Hauptes, nicht trennen”. (17).

So sind die Apologien seit mehr als 1000 Jahren einfache, durch die Geschichte geläuterte Gebetsformeln voll theologischen Inhalts, die es dem betenden Priester und den Gläubigen, die an der das Gebet begleitenden Stille teilnehmen, gestatten, sich des “mysterium fidei” bewusst zu werden, an dem sie teilhaben, und sich so Christus anzuschließen und ihn als Gott, Bruder und Freund zu erkennen.

Aus diesen Gründen müssen wir glücklich darüber sein, dass trotz der Tatsache, dass die nachkonziliare Liturgiereform die Zahl dieser Gebete drastisch reduziert und deren Texte in großem Umfang abgeändert hat, diese auch im neuen “Ordo Missae” vorhanden sind. Die Einladung an die Priester geht dahin, diese Gebete während der Feier nicht zu vernachlässigen und sie nicht in Gebete der ganzen Versammlung umzuwandeln, indem sie wie alle anderen Gebete laut vorgetragen werden. Die apologetischen Gebete gründen in einer anderen Theologie (und bringen diese zum Ausdruck), die jene ergänzt, die den Hintergrund der übrigen Gebete bildet. Diese Theologie tritt in der stillen und ehrfürchtigen Weise zutage, in der sie der Priester betet und mit der sie die anderen Gläubigen begleiten.

Literaturverzeichnis

[1] Johannes Paul II., Botschaft an die Vollversammlung der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung 21.09.2001.

[2] J. Ratzinger/Benedikt XVI., Vorwort zum ersten Band der “Gesammelten Schriften”.

[3] Vgl. Benedikt XVI., Predigt in der Osternacht, 22.03.2008.

[4] Benedikt XVI., Sacramentum caritatis, Nr. 65.

[5] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft an die Vollversammlung der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung 21.09.2001.

[6] Benedikt XVI., Predigt zur Chrisam-Messe, 20.03.2008.

[7] Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 11.

[8] Johannes Paul II., Brief an die Priester zum Gründonnerstag 2004.

[9] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft an die Vollversammlung der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung 21.09.2001.

[10] Benedikt XVI., Sacramentum caritatis, n. 55.

[11] Ebd.

[12] Ebd., Nr. 23.

[13] Vgl. ebd., Nr. 37.

[14] Vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 48.

[16] Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1120.

[17] Ebd., Nr.1553.